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2024-12-12

„Mach's wie Gott – werde Mensch“.

Damit lässt sich die Weihnachtsbotschaft zusammenfassen. Gott ist Mensch geworden in Jesus

Auf seinen Spuren sollen wir ihm nachfolgen!
Das Evangelium in die Welt zu tragen, heißt: Menschlich zu sein, Menschlichkeit zu verbreiten.

Aber:  Was ist denn „menschlich“?

Das Bedürfnis nach Sicherheit und Frieden? …nach Ansehen und Raum zum Leben? Das, was man für sich selbst erhofft, auch anderen zu gönnen? Die eigenen Bedürfnisse mit denen Anderer in Einklang zu bringen?  Zum Wohl eines Anderen auch einmal auf die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu verzichten? Vom Ich zum Du? Das ist die schöne menschliche Seite. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Was ist mit den Konflikten, die wir Menschen ja leider auch drauf haben? Was ist, wenn der Wunsch nach Sicherheit zum Drang wird, sich abzuschotten oder innerlich aufzurüsten?  Was ist, wenn die einen nur noch schlecht über die anderen sprechen, vorwurfsvoll und abwertend? Was ist, wenn ein weiteres, allzu menschliches Bedürfnis – nämlich auf jeden Fall einer der Guten zu sein – verwechselt wird mit einem Anspruch: Ich bin über jeden Zweifel erhaben! Erinnern Sie sich noch an die Debatten um Corona, Impfung, Klima, Migration und Co….?

Irren ist menschlich, heißt ein altes Sprichwort, schlimmer noch: Der Mensch tötet, er kann sehr grausam sein, nicht nur in Kriegszeiten. Der Mensch ist alles andere als perfekt, als nur gut. Wenn wir aber als Menschen friedlich und „menschlich“ zusammenleben wollen und diese dunklen Seiten bändigen, zähmen wollen, dann ist Mitgefühl, Empathie unbedingt nötig.  

Lt. Wikipedia ist das die „Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden.“ Man könnte also sagen: Ohne Empathie könnten wir nicht friedlich und demokratisch miteinander in Gesellschaften leben. Ohne Empathie würden die unterschiedlichen Interessen nicht berücksichtigt und geschützt werden können. Gleichzeitig ist Empathie besonders wichtig, wenn es darum geht, gesunde Beziehungen im Leben einzugehen.

Empathiefähigkeit ist also enorm wichtig. Doch sie ist, so Karl Heinz Brisch, ein Kinderpsychiater, Psychoanalytiker und Bindungsforscher in einem Focus-Interview, nicht angeboren, entwickelt sich nicht von selbst, wie das Laufenlernen, sie muss erlernt werden. Wird sie in der Kindheit nicht erworben, fehlt sie auch im Jugend- und Erwachsenenalter. Ein Beispiel: „Ich hatte einmal einen 16-Jährigen zur Begutachtung nach einer Schlägerei“, erzählt Brisch „Ich habe ihn gefragt: Was glaubst du, wie es demjenigen ging, als du wieder und wieder zugetreten hast, nachdem er schon am Boden lag? Da sah er mich an und sagte: ‚Woher soll ich das wissen? Sie sind der Psychiater.‘ Da war keine Resonanz, kein Gefühl dafür, wie es dem anderen gehen könnte. Da waren nicht einmal Worte, um das Geschehene und die emotionalen Empfindungen bei dem Opfer zu benennen.“ Für Brisch ist das längst kein Einzelfall mehr: „Ich frage mich, wo wir da hindriften.“

Empathiefähigkeit braucht Bezugspersonen, die da sind, die mit dem Kind viele verschiedene Situationen erleben, sich ihrerseits empathisch einfühlen und dann dem Kind widerspiegeln, benennen, deuten, was das Kind da gerade erlebt: Ohje, du bist so traurig. Oder: Oh meine Güte, was für eine Wut, was für ein Ärger! -  Gefühle zuordnen. Ohne das würde ein Kind zwar mitbekommen, wenn eine andere Person z.B. Schmerzen oder Angst fühlt – es hätte aber keine Möglichkeit, empathisch zu reagieren, weil es diese Gefühle nicht zuordnen könnte. Und es hätte keine Idee, wie darauf mitfühlend reagiert werden könnte.

Negative Auswirkungen spüren wir dann, wenn uns das Gefühl – und vor allem das Mitgefühl – für die verschiedenen Mitglieder unserer Gesellschaft abhandenkommt. Wenn Kinder, die heute keine Empathiefähigkeit entwickeln, in ein paar Jahren selbst Eltern werden – und sich nicht gut in die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder einfühlen können -  was sollen sie denn vermitteln? Probleme wie Mobbing und Gewalt könnten zunehmen, wenn Kinder nicht lernen, sich in ihr Gegenüber einzufühlen. Und Brisch sieht eine weitere Gefahr:

„Wenn Menschen nicht empathiefähig sind, bindungsunsicher und vielleicht auch noch traumatisiert – dann sind diese Menschen, was ihre Persönlichkeit und Identität angeht, leicht manipulierbar.“

Got0t hat sich auf uns Menschen eingelassen – und ist in Jesus Mensch geworden. Bei all den Widrigkeiten, die das Menschsein damals wie heute so mit sich bringt, hat Jesus uns beispielhaft gezeigt, wie man das Menschsein gestalten kann und wie wir mit Menschen in Beziehung sein können. Als Meister der Empathie will er uns die Augen öffnen für das, was Wirklichkeit ist:  Nicht unsere Vorstellung von schwach und mächtig, von oben und unten, sondern eine göttliche Weltordnung, in der es auf Freundlichkeit, auf Uneigennützigkeit, auf Liebe ankommt.
Wenn wir Weihnachten feiern, dann ist das also mehr als nur ein Gefühl – es ist Mit-Gefühl. In diesem Sinne: Mach`s wie Gott – werde Mensch.
Frohe Weihnachten!

Ihr Pfarrer Franz Xaver Huu Duc Tran