Nachsätze statt Vorsätze
Meistens verlieren wir Menschen schon nach ein paar motivierten Wochen, mitunter schon Tagen, den Elan und vergessen unsere guten Vorsätze. Nicht wenige mutieren zum passiven Mitglied im Fitness-Studio und ernähren sich so schlecht wie nie zuvor. Oder Sie beerdigen ihren guten Vorsatz, endlich chinesisch zu lernen, auf dem Friedhof der guten Vorsätze. Dort wo schon so viele andere gute Ideen liegen. Der Schwung ist dahin, der erste Frust produziert – man könnte es auch so ausdrücken: „Gute Vorsätze sind die erste Enttäuschung im neuen Jahr.“ Sich selbst zu hohe Ziele setzen oder alte Verhaltensmuster zu radikal verändern wollen: wer sich das so vornimmt, der läuft Gefahr zu scheitern. Warum: weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Sein Gehirn ist darauf trainiert. Wer Gewohnheiten durchbrechen will, muss sich richtig anstrengen. Und eine solche Veränderung betrifft einen ja auch nie nur selbst, sondern auch alle, die zu einem gehören…
Doch damit sind wir nicht allein. Auch in der Bibel lesen wir von guten Vorsätzen, denen keine Taten gefolgt sind. Petrus z.B. hatte sich fest vorgenommen, Jesus vor einer Verhaftung zu schützen und zu ihm zu stehen. „Auch wenn alle anderen sich von dir abwenden, ich werde es nicht tun!“ (Mk 14,29) Ich nicht! …
Dass es nur bei einem Vorsatz geblieben war, machte Petrus untröstlich. Und wie reagierte Jesus darauf, als er Petrus nach seiner Auferstehung wiedersah? Keine Vorwürfe, kein Zorn. Stattdessen erneuert er den Auftrag für Petrus, die Gemeinde aufzubauen. Wow! Was zeigt uns das? Gott geht mit uns nicht ins Gericht, wenn wir scheitern. Das tun wir selber, weil wir von uns selbst enttäuscht sind.
Also dann lieber gar keine Vorsätze mehr? Nach dem Motto: wer keine hat, kann auch nicht enttäuscht werden?
Gute Neujahrsvorsätze können dem Leben eine positive Wendung geben, davon ist die Glücksforscherin Michaela Brohm-Badry überzeugt. Darum wäre eine Alternative: die Vorsätze anders fassen, besser mit kleinen Schritten zum Ziel, als groß scheitern. Für bisherige Couch-Potatos z.B. nicht dreimal die Woche eine Stunde Joggen, sondern besser erst mal nur zehn Minuten. Oder für Lernmuffel: statt jeden Tag eine Stunde Vokabeln lernen wären erst mal nur zehn Minuten viel leichter zu schaffen. Solche kleinen Änderungen sind alltagstauglich, insbesondere dann, wenn sie angehängt werden an bestehende Gewohnheiten: Vokabellernen z.B. immer abends nach dem Zähneputzen. Manchmal kommt es auch auf die Formulierung an, haben schwedische Forscher festgestellt: Beim Ziel abzunehmen ist "Ich esse künftig mehr Obst" viel einfacher umsetzen als "Ich esse gar keine Süßigkeiten mehr".
Eine zweite Alternative zu „gar keine Vorsätze“ erfordert einen Perspektivwechsel: Wie wäre es anstelle von guten Vorsätzen mal mit „guten Nachsätzen“? Schreiben Sie alles auf, wofür Sie im vergangenen Jahr dankbar waren. Denn ein dankbarer Rückblick macht deutlich zufriedener als der schuldbewusste Seitenblick auf die unerfüllten guten Vorsätze.
Aber was, wenn ein dankbares Zurückschauen schwerfällt? Wenn die schwierigen Lebensabschnitte überwogen haben, Krankheitsphasen oder Zeiten der Traurigkeit? Für die Krankheit braucht man nicht dankbar zu sein, aber für das, was vielleicht in diesen Zeiten von Krankheit oder Trauer mir an Gutem widerfahren ist: an Hilfe, an guten Worten, an Unterstützung. Manchmal muss man erst einmal lernen, das auch so zu sehen. Dafür braucht man Menschen als „Augenöffner“. Dafür braucht man Zeit, um dies sehen zu lernen. Denn es gehört zu meinem Leben dazu. Annehmen fällt manchmal schwer. Mit einem glaubenden Herzen vertraue ich darauf, dass diese Zeiten an Gott nicht vorbeigegangen sind, dass Gott mich sieht in meiner Situation. Es ist ihm nicht egal. Im Gebet kann ich vor Gott alles sagen, was ich mit mir herumtrage, was mich beugt und lähmt.
So wollen wir also das vergangene Jahr Gott dankend zurückgeben und das kommende vertrauensvoll in seine Hände legen. Und bitte nicht vergessen: immer wieder zwischendurch innehalten und die Dinge genießen, die heute das, bzw. mein Leben lebenswert machen.
Das zu erleben wünsche ich Ihnen und mir für das neue Jahr.
Ihr Pfarrer Franz Xaver Huu Duc Tran