Stand Juni 2023:Prävention und Aufarbeitung in unserer Pfarrei und im Bistum
Aus sogenannten „Opfern von sexuellem Missbrauch“ wurde auf Anraten von Betroffenengruppen „Betroffene von sexualisierter Gewalt“. Aus vorrangigem „Schutz der Kirche und ihrer Amtsträger“ wurde im Bistum Aachen ein echter Wille zur Aufklärung, und eine Aufforderung an die Betroffenen sich zu melden.
Zum Stand der Aufarbeitung
Auf Bistumsebene wurden bis Juni 2023 insg. 250 Betroffene bekannt. Davon haben 134 Betroffene Anträge auf Anerkennung des Leids gestellt, die von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) in Bonn auf Plausibilität geprüft wurden. 121 Beschuldigte und Täter sind dem Bistum namentlich bekannt. Darunter befinden sich 110 Kleriker (Pfarrer, Kapläne, Patres, Diakone) und Ordensschwestern. Die weiteren elf waren Hausmeister, Küster, Lehrer und Erzieher.
Die UKA ist sehr viel schneller in der Bearbeitung der Anträge geworden. Und dennoch läuft für viele sehr betagte Betroffene die Zeit davon. Viele Taten sind „verjährt“. Dies macht eine strafrechtliche Verfolgung durch Gerichte nicht möglich, das aber ist für Betroffene vielfach unerträglich. Im Bistum Aachen sind bis Juni insgesamt 2,355 Mio. Euro an Betroffene gezahlt worden – eine Wiedergutmachung für erlittenes Leid kann dies nicht sein. In drei Fällen wurden mehr als 100 000 Euro gezahlt. Entschädigungen wurden und werden gezahlt, in dem Wissen, dass das erfahrene Leid niemals wieder gut gemacht werden kann. Es handelt sich um eine Anerkennung des Leids, welches betroffene Menschen ein Leben lang prägt und ihr Lebensglück stark beeinflusst. Sexualisierte Gewalt zerstört Seelen, Biografien und soziale Beziehungen. Unabhängige Ansprechpersonen beraten und begleiten die Betroffenen bei der Antragsstellung. Entscheidend ist, dass jede/r Betroffene die Hoheit über seine/ihre eigene Biographie behält. Gespräche mit den Betroffenen sind ein zentraler Baustein in der Aufarbeitung von Sexualisierter Gewalt in der Kirche. Verfehlungen, Missstände und Verbrechen werden inzwischen klar benannt, gemeldet und auch verfolgt.
Konsequenzen aus der Aufarbeitung
Dieser Aufgabe dienen eine Reihe von Maßnahmen auf der Ebene des Bistums Aachen: Einrichtung der Stabsstelle PIA in der bischöflichen Verwaltung in Aachen, in der alle Aufgaben zur Prävention(P), Intervention(I) und der Ansprechpersonen(A) von Missbrauch und sexualisierter Gewalt für das Bistum Aachen zusammengeführt werden. Ziel ist die Aufarbeitung für und mit den Betroffenen von sexualisierter Gewalt, die Begleitung von Systemen, in denen Missbrauch stattgefunden hat sowie die Aufarbeitung mit den Täter/inne/n und zu Unrecht Beschuldigten (Rehabilitation), Gründung eines Betroffenenrates, der die Aufarbeitung der bekanntgewordenen Fälle kritisch begleitet, Gründung einer Unabhängigen Aufarbeitungskommission, in der externe Expertinnen und Experten sitzen und deren Aufgabe es ist, die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt kritisch zu begleiten, zu kontrollieren und zu dokumentieren.
Der Ständige Beraterstab des Bischofs ist ein weiteres Gremium, das mit hoher Expertise und in einem offenen Dialog kritische Punkte anspricht und die Bistumsleitung in Fragen des Umgangs mit sexualisierter Gewalt berät. Betroffene können sich an vom Bistum unabhängige qualifizierte Ansprechpersonen (früher Missbrauchsbeauftragte) wenden. Zudem stehen unabhängige und auch kirchliche Beratungsstellen zur Verfügung.
Prävention in unserer Pfarrei
In unserer Pfarrei St. Martin gibt es inzwischen sog. Institutionelle Schutzkonzepte für die Pfarrei als Ganze, aber auch für unser Jugendzentrum KATHO, für unsere Kindertagesstätten. In ihnen werden u. a. Präventionsfachkräfte und Ansprechpersonen, Meldewege u.v.m. benannt. Ziel ist die Sensibilisierung, Qualifizierung und Stärkung, um präventiv tätig zu werden und bei grenzüberschreitendem Verhalten konkret und angemessen handeln zu können. Die Pfarrei St. Martin arbeitet in allem eng mit dem von der Pfarrei unabhängigen Kinderschutzbund in Erkelenz zusammen.
Alle ehren-, neben- und hauptamtlichen Personen, die sich mit Kindern, Jugendlichen und schutzbedürftigen Erwachsenen in unserer Pfarrei treffen, werden vom Katholischen Forum und vom Jugendbüro der Region Heinsberg geschult. Sie verpflichten sich (je nach Einsatz und Tätigkeit) mit ihrer Unterschrift, den festgelegten Verhaltenskodex einzuhalten und legen ein erweitertes
Führungszeugnis vor.
Die Betroffenen im Mittelpunkt
Allgemein gilt für Bistum, wie für unsere Pfarrei: Die Sicht der Betroffenen, ihre Anliegen sowie ihr Schutz vor Belastungen und Retraumatisierung stehen im Mittelpunkt aller Maßnahmen. DEN Betroffenen oder DIE Betroffene gibt es nicht. Der Spannungsbogen zwischen Achtsamkeit und Aufklärung ist groß. Jeder Fall ist anders. Dies gilt auch für die geforderte „Täter-Nennung“. Eine differenzierte Betrachtung ist kein Ergebnis von Vertuschung, sondern Ausdruck dessen, in einem Rechtsstaat rechtsstaatliche Standards und Mittel zu wahren. Es ist zwingend notwendig, im Sinne höchstmöglicher Transparenz nachvollziehbare Systematiken zu entwickeln.
Jeder gemeldete Fall wird dem Kreisjugendamt gemeldet und, falls geboten, auch der Staatsanwaltschaft. Staatliches Recht hat Vorrang, und kirchliches Recht muss ebenfalls beachtet werden. Die Aufarbeitung und Verhinderung sexualisierter Gewalt ist kein zeitlich befristetes Projekt, keine kurzfristige Maßnahme, sondern eine Frage der Haltung und des Wollens. Aufarbeitung sexualisierter Gewalt bleibt ein Thema für Kirche und Gesellschaft.
Letztlich geht es um eine Kultur des Hinsehens und um den Schutz und das Wohl von Kindern, Jugendlichen und schutzbefohlenen Erwachsenen.